Gisela geht – zum Tod unserer Schwester Gisela in Lespinassière

Gisela geht – zum Tod unserer Schwester Gisela in Lespinassière am 16.9.2025 Diesen Beitrag könnt ihr betrachten als: – Einen Bilderbogen zum (sehr langen!) Scrollen zu einigen Lebensabschnitten von Gisela. Zu benutzen wie ein riesen-langer Leporello – zur Erinnerung immer mal ein paar Bilder und Texte betrachten/lesen! – Eine lange Bilder-Geschichte von drei eng verbundenen Schwestern, die sich nun damit abfinden müssen, nur noch zu zweit zu sein. –  Eine Frauenbiografie mit Anworten auf die Frage, was es ausmacht, 12 Jahre später geboren zu sein als 1937. Danke von Giselas Familie an die Einwohner von Lespinassière! Merci beaucoup aux habitants de Lespinassière de la famille de Gisela d’Allemagne! Am 18.September verabschiedete sich das Dorf, in dem unsere Schwester und ihr Mann Gerd mehr als 25 Jahre gelebt haben, so wie Gisela sich das gewünscht hat: Kein Pomp mit Kränzen und Bouquets, sondern Blumen und Grün aus der Natur, Musik von ihrem Mann Gerd, mit nachbarschaftlichen Gesprächen, Gesängen und einfach einem guten Beisammensein. Wir sind alle sehr traurig, aber auch froh, noch viele gute Gespräche mit ihr gehabt zu haben. – Wenn etwas endet, fragt man gemeinsam danach, wie es angefangen hat. Für Gisela am 29.10.1937. Hier ist sie als kleine Maus (ganz rechts mit dem sogenannten Russenkittel) mit ihrer Mutter Alwine, Bruder Eberhard und Schwester Helga. Die kleine Ziege (ich) wird erst 1949 dazukommen. Da ist die Familie aber schon nicht mehr in Stuttgart, sondern in Dersum. Über diesen Ort und wie die Menschen sich damals (also im Krieg und der Nachkriegszeit) dort verhalten haben, ihaben wir in der Klinik in Carcassonne, in der Gisela zum Schluss liegt, noch viel gesprochen. Besuch in Dersum, etwa 1959: Von links: Eberhard (1935-2020), Irmgard (momo:ich) (1949), Gustav (1910-1960), Alwine (1913-2018), Gisela (29.10.1937-16.9.2025), Helga (1940) Knapp 60 Jahre später, am 27.5.2018, dem 105ten Geburtstag unserer Mutter. Von links: Gisela, Helga, Alwine, Eberhard, Irmgard Gisela geht – eine Drei-Schwestern-Geschichte Gisela hat in vielen freundschaftlichen und familieren Bezügen gelebt. So gibt es aus verschiedenen Perspektiven allerlei Geschichten und Andenken. Zum Beispiel die Gisela-Gerd-Frank-Julia-Anthony-Geschichte. Hier fällt mir dazu gleich der kleine Feuerwehrhauptmann ein, der keine Angst hatte. Oder die Lespinassière-Geschichte mit Muguette, die mit heller Stimme „Coucou“ ins Haus ruft. Aber diese Geschichten müssen andere erzählen, die sie besser kennen. Ich bin hier zuständig für die Geschichte von den drei Schwestern. Sie beginnt in Dersum und endet in Lespinassère und Carcassonne. Na ja, ein bisschen beginnt sie auch in Stuttgart, aber von dort muss die damals fünfköpfige Familie nach Dersum, wird im Emsland als einzige evangelische Familie in einem sehr katholischen Dorf nicht besonders freundlich willkommen geheißen. Gisela äußert in Carcassonne die späte Hypthese, das Verhalten diverser Mitmenschen dort habe sie endgültig zur Atheistin gemacht, denn der Widerspruch zwischen bigotter Frömmigkeit und gehässigem Verhalten gegenüber den Flüchtlingen sei ihr sogar schon als Kind und Jugendliche sehr zuwider gewesen. Zudem hätte sie viele Rituale nicht gekannt und es gibt eine Geschichte von der kleinen Gisela, die aus dem Fenster im 1. Stock eine Fronleichnamsprozession sieht und ruft: „Mama, ist das der Bischof mit die lange Gardine?“ Das wurde natürlich übel genommen und obwohl unser Vater im Dorf den Arzt (er war als Sanitäter ausgebildet) und den technischen Hilfsdienst gab (er war so ein Mensch, der so ziemlich alles konnte), wurde die Familie oft geschnitten und gehässig behandelt. Gisela äußert noch in diesen Tagen ihm gegenüber Hochachtung, dass er darüber nicht bitter und ungerecht geworden sei. Dersum war eine einigermaßen traumatisierende Erfahrung für die Familie. Unsere Mutter (neuntes von zehn Geschwistern aus dem Meller Land) eigentlich im Dauerclinch mit ihrer Schwiegermutter Luise (eine selten gefühlskalte Person, die ihre Zuneigung zu ihrem einzigen Sohn zeigte, indem sie  alle anderen schlecht machte). Unser Vater, der zwischen allen Stühlen es allen Recht machen wollte, der immer noch eine findige Idee zum Überleben entwickelte. Unser Bruder, entwurzelt und verunsichert, die Angst vor und im  Krieg. Die Schwestern, die zusammenhielten, es aber in der feindlichen schulischen und dörflichen Umgebung schwer hatten. Die weiterführenden Schulen eine halbe Tagesreise entfernt, mit dem Rad, mit dem Zug, zu Fuß.  Schulgeld für alle drei Kinder, das die Familie eigentlich gar nicht aufbringen kann. Und dann 1949 auch noch das kleine Nachkriegsunglück : Ich, noch ein Geschwisterchen! Unsere Mutter hat noch kurz vor ihrem Tod 2018 erzählt, dass sie angesichts der Situation ein verschämt-verdecktes Abtreibungsangebot bekommen habe, unser Vater sich aber vehement dagegen gestemmt habe. Wir Drei sind uns einig, dass unser Vater Gustav schon eine gradlinge Figur war und wir ihm Hochachtung schenken. 1953 kommt die Familie (endlich weg von Luise!) nach Lingen, wo unser Vater im Sanitätsdienst des Gefängnisses an der Kaiserstraße tätig ist. Eine Reise nach Stuttgart (Sehnsuchtsort, zu dem wir nicht zurückkehren können) zu den früheren Nachbarn 1959 gelingt noch. Februar 1960 erkrankt Gustav an Kehlkopfkrebs und stirbt am 29. Oktober 1960, an Giselas dreiundzwanzigstem Geburtstag. Die Tatsache, dass unser Vater von seiner Krankenversicherung „ausgesteuert“ wurde (eine vornehme Bezeichnung dafür, dass er eine einmalige Abschlusszahlung und dann nichts mehr bekommt), bedeutete, dass seine Familie die vielen erfolglosen Operationen zwar von den Kliniken in Eppendorf und dann der Stadt Hamburg gestundet bekam, aber gleichwohl abstottern musste. Die großen Schwestern gingen Hemden nähen bei Lincron (das ist, wo heute die Stadtwerke in Lingen sind) und der eine Studierende in der Familie (Eberhard in Lübeck) ernährte sich häufig von Bananen aus dem Freihafen und schrieb Karten mit dem Text: „Geld reichte gerade für die Sargnägel!“   Ich bin der festen Überzeugung, dass meine beiden Schwestern – ähnlich spät geboren wie ich, mit Honeffer Modell, Bafög, ohne Schulgeld an weiterführenden Schulen – studiert hätten und Gisela eine gute Ärztin geworden wäre. Darum finde ich den Spruch von der „Gnade der späten Geburt“ (Kohl in Anlehnung an Günter Gaus) auch so schräg. Gut: Meine Geschwister sind nach 1930 geboren und mussten sich wegen ihrer Jugend nicht bewusst gegen (oder gar für) den Nationalsozialismus entscheiden. Aber: Sie sind früh genug geboren, um die Folgen des Nationalsozialismus und des Krieges als junge, ungefestigte Menschen ausbaden zu dürfen und das in einer Art und Weise, die absolut lebensbestimmend war. Das Klima noch der 60er Jahre war so, dass wir uns ständig geschämt haben: Für unsere Armut, unsere Möbel, unsere Kleidung, unsere Ungebildetheit, gar dafür, dass wir keinen Vater mehr hatten. (Dabei sind wir Drei bis heute überzeugt, dass seine ständige ungeschützte Röntgentätigkeit im „Knast“ – die Bleischürze endete bei dem großen Kerl oberhalb der Bruswarzen – unseres Vaters seinen Kehlkopfkrebs mit verursacht hat) . Ich war dabei noch in der priviligierten Rolle, beschützende und helfende Geschwister zu haben. Jedes Tanzstundenkleid, das ich stolz trug, war von Gisela geschneidert, die 90 Mark für den Kurs vom Bruder, jedes Buch von Helga. DAS könnte man als solch eine Gnade der späten Geburt bezeichnen!  Als ich zur Schule ging, kostete sie kein Schulgeld mehr und ich bekam sehr bald Stipendien und einen Job an der Uni. Gisela engagierte sich beim Roten Kreuz und wurde später die Heilkräuterfrau eines südfranzösichen Dorfes. Das ist eine ganz andere Karriere, aber nicht weniger achtbar als mein schwacher Versuch, mich mein Leben lang für die Schule für ALLE zu engagieren. Wir Drei sind uns treu geblieben und nah. Was uns immer verbunden hat, war die Liebe zu Pflanzen. Das – wie wir ironisch sagten – Garten-Gen ist weitergewandert in die nächste Generation: Giselas Tochter Julia, meine Tochter Julia…und das Näh-Gen ebenfalls. Das Technik-Gen hat eher die Herren getroffen. Gisela und die Pflanzen       2000 ziehen Gisela und Gerd nach Lespinassière. Dieser kleine Ort wird ganz und gar ihre Heimat und die ganze Familei kommt sie gern dort besuchen. Sie feiern dort auch ihre Diamantene Hochzeit Gisela und die Katzen In Lespinassière werden die beiden tout francais. Dazu gehört die Liebe zum Pique-Nique. Und weil Gisela zu Anfang einmal gefragt hat, was sie beisteuern kann…wird sie zur Großpoduzentin von Gateau foret noire (Schwarzwälder Kirschtorte). Sie entwickelt sogar eine Technik, die Torte transportabel zu machen (einfrieren und auf den Punkt wieder auftauen lassen!). Gisela kocht sehr lecker, vegetarisch, besser flexitarisch mit Fisch. Sehr beliebt bei allen Besuchern. Ein Hühnchen-Stück, das sie vesehentlich in Carcassonne in der Klinik serviert bekam, veranlasste sie zu der belustigten Bemerkung, das habe sie nun nach 50 Jahren Fleischlosigkeit auch nicht umgebracht, aber der von ihr vermutete Fisch habe schon recht eigenartig  geschmeckt… Leider, leider sind wir Drei erst spät darauf gekommen, einmal im Jahr eine Woche gemeinsamen Urlaub zu planen. Gisela hatte sich die Hallig Langeness gewünscht, dort war sie vor „ewigen Zeiten“ schonmal gewesen. Immerhin hatten wir ein kurzes Treffen in Unterbörsch geschafft und gingen später in die Planungen der Reisegruppe Silberlocke über. Als wir dann September 2020 nach Bayreuth reisen, sind wir nicht wenig erstaunt über die Nachricht, dass wir aus einem Hochinzidenz-Gebiet kommen (ausgerechnet das Minervois, wo sich Wildschwein und Hase unter Weinreben Gute Nacht sagen?). Trotzdem wird es eine schöne Feier: Die Helga wird 80! Und alle haben einen frischen Test, der örtliche Mediziner konnte dann bestimmt bald ein hübsches Haus bauen (131 € erhob er für Nicht-Landeskinder!) Dann kommt die Corona-Pause….aber die Reisegruppe Silberlocke plant weiter – und im Juni 2022 geht es endlich auf die Hallig Langeneß, auf die Tadenswarf. Dort hat die gesamte Gastfamilie Corona, managt aber das Ganze berührungsfrei: Wir gehen in den kleinen Laden, kaufen ein durch beherzten Griff ins Regal und am Ende wird von einem gerade mal Corona-negativen Familienmitglied abgerechnet. Das war genial. Wir hatten wunderbare Tage und bekamen sogar frische Nordseekrabben geliefert. Zu unserem Erstaunen war die Hallig sehr laut: ein riesiges Vogelgeschrei umgab das Haus. Gisela fand besonders witzig das Gegurgel der Eiderenten. Langeness, Juni 2022 Im August 2023 dann mieteten wir für eine Woche ein niederländisches Haus am Wasser in Makkum (Nähe Abschlussdeich). Auch schön…aber die Hallig fanden wir noch uriger. Gern wären wir noch einmal hingefahren. Nun ist es leider zu spät. Meine ich das  – oder haben wir ähnliche Farbvorlieben? Nach Makkum haben wir noch ein Familietreffen auf die Reihe bekommen. Leider wohl das letzte… Eine weitere Fahrt ins Elsaß – von mir vermeintlich schlau geplant, um Gisela die Anreise leichter zu machen – fand für uns Drei dann nicht mehr statt. Sie traute sich das nicht mehr zu. Im Oktober haben wir Gerd und Gisela dann in Lespinassère besucht. Sie bestand darauf, ihren Geburtstag mit uns vorzufeiern, als hätte sie geahnt, dass es ihr letzter sein würde. Als Giselas Gesundheitszustand zunehmend dramatisch wird, entschließen wir uns nach Lespinassère zu fahren. Ich telefoniere mit ihr Ende August. Sie spricht zunehmend „letzte Texte“, wie: „Was soll ich noch sagen? Seid lieb zueinander!“ Und auf die Frage, ob wir schnell kommen sollen, weil sie den Wunsch äußert, uns noch einmal zu sehen: „Ich sterbe ja grad zum ersten Mal, ich hab‘ so wenig Erfahrung damit!“ Wir fahren los und finden das Haus in Lespinassière merkwürdig entseelt, obwohl dort 4 Menschen sind. Muguette, die Nachbarin, bringt uns in ihrer Gästeunterkunft sehr nett unter. (Gisela sagt: „Da kannst du aus der Dusche in die Sterne sehen!“) Am 31. August (Sonntag) sind wir dann bei ihr in der Klinik in Carcassonne. Sie freut sich so sehr und wir reden viele Nachmittage, lachen, weinen gemeinsam, hören Musik und wenn sie zu erschöpft ist, lese ich ein bisschen vor. Das mag sie sehr. Ich hatte ihr den Tonie (ja richtig, das Hörsystem für kleine Kinder) geschickt und die Geschichte von Erika von Elke Heidenreich (Erika ist ein riesiges rosa Schwein mit blauen Glasaugen, wir hatten viel Spaß mit dieser Metapher) auf einen Kreativ-Tonie gesprochen. Das hatte sie x-mal gehört. Die Idee hatte ich, weil sie nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt ist und nur schwer greifen kann. Sie telefoniert nachts viel, weil sie sich einsam fühlt und in der Neurologie-Station, wo sie liegt, nur eingeschränkt Besuch haben kann. Als die Schwester mit ihr schimpft, ihr Mann brauche aber seinen Schlaf, sagt sie „Ich habe Jahrzehnte dafür gesorgt, dass er gut schläft..“ Ihr Sohn Frank bringt ihr bei, Siri zu nutzen und das tut sie nun ausgiebig…auch nachts…alles ein bisschen schwierig. Ab dem 2. September hört sie auf zu essen, lässt sich aber mit etwas Apfelmus die Tabletten geben. Sie mag den Geschmack von Milchkaffee. Sie regelt mit ihrer Familie alles, ihren Tod betreffend. Auf meine Einlassung, ob ihr klar sei, dass sie durch Nicht-Essen ihren Tod beschleunigt, sagt sie ganz ruhig: „Ja, und das will ich ja auch.“ Und zwischendrin blitzt ihr alter Humor auf. Wir sprechen über Luise (Schwiegermutter) und Ludwig (Vater von Gustav,  im Gegensatz zu seiner Frau ein herzensguter Mensch) und sie sagt: „Wisst ihr, dass ich Ludwig mit Vanillepudding gefüttert habe und er währenddessen gestorben ist?“ Dann blitzen ihre Augen, sie lächelt verschnmitzt  und sie zeigt auf das Vanillepudding-Schälchen auf der Ablage und sie sagt zu uns: „Und wollt ihr das da mal wegnehemn?!“ Am 9. September (Dienstag)  dann ist sie sehr verzweifelt. Ihre Hoffnung, noch einmal palliativ nach Haus zu kommen, schwindet und sie sagt: „Wenn ich das so gewusst hätte, hätte ich es anders gemacht!“ Die Schwestern haben sie wohl ausgeschimpft, sie würde viel zu oft rufen. Sie haben sogar versucht, ihr die Klingel wegzunehmen. Sie weint bitterlich und sagt: „Mein Leben lang habe ich mich um andere gekümmert (das stimmt!), um mich dann hier so böse ausschimpfen zu lassen (sie will den Text nicht wiederholen, findet ihn zu beleidigend).  Harry und ich reden mit dem Personal, das offenbar gar nicht um die Schwere ihrer Erkrankung weiß und überfordert ist. Wir regen uns alle ziemlich auf, weil wir ihre Trauer und Verzeiflung nicht ertragen können, reden auch mit Ärzten. Und dann kommt das Erstaunliche: Gisela macht mit mir, was sie ein Leben lang mit mir gemacht hat: Sie kümmert sich! Sie fragt mich, als wir gehen wollen und klar ist, dass sie nun anders betreut wird: „Bist du denn nun auch einigermaßen beruhigt?“ Danach wird sie endlich palliativ betreut und kommt am Donnerstag auf die Paliativstation in Montréal-Elsan. Da ist sie dann aber nicht mehr bei Bewusstsein, ihr Mann Gerd und ihre Tochter Julia dürfen aber bei ihr sein und ihre liebevolle Nähe hat ihr sicherlich gut getan. Adieu, große Schwester!    

Weihnachtspersonal: Nachdenklicher Hirsch (für Bilder bitte anklicken)

Weihnachtspersonal Wir haben uns inzwischen an sie gewöhnt: Das Weihnachtspersonal, das so ab Ende September in den einschlägig vorbestraften Läden auftaucht und wir sind durch jahreszeitliche Überflutung recht abgehärtet, haben sozusagen eine Weihnachtsdeko-Gänsepelle. Dieses Jahr aber haben die Designer mich doch wieder mit einer neuen Figur erstaunt: dem nachdenklichen Hirschen! Jawohl! Aber der Reihe nach: Seit vielen Jahrzehnten erscheinen die Figuren der Vorweihnachtzeit mehr und mehr durchsäkularisiert in den Geschäften. Das ist ja nun keine besonders überraschende Wende in der Entwicklung, die Radikalität aber, mit der sich die Dekobranche von den Ursprüngen des Festes abwendet, bekommt schon manchmal ziemlich kuriose Züge. Da die Dinge gekauft werden, gibt es ja offenbar ein Bedürfnis nach – ja nach was? Jahreszeitbezogener Schmückung zum Zwecke emotionaler Wärme in my Wohnhome? Mit Niedlichkeit? (N-Faktor) Na ja, offenbar irgendetwas aus der Gefühlsabteilung „sentimentale Wohnrückzugsromantik“, gelegentlich getarnt als Ironie-Deko. Was auch immer es ist, es scheint ziemlich fundamental zu sein – und teuer auf der einen bzw. einträglich auf der anderen Seite. Das christliche Normalpersonal – also Engel, Krippe und Co. – ist geradezu abgemeldet und taucht höchstens noch als niedliches Zitat, zum Beispiel als nüüdlicher Pusteengel auf. Der Nüüdlichkeitsfaktor überhaupt – treibt dann allerlei Blüten, meist Ausführungen aus der umgebenden Tierwelt mit beachtlichem Schielfaktor. Tiere mit großen Augen spielen dabei wegen des N-Faktors häufig eine Rolle, zugelassen sind aber auch allerlei Waldbewohner (Betrieb des Nikolausschlittens?), gern dekoriert mit Kunstschnee. Ehemalige Waldbwohner mit roter Nase, offenbar eine amerikanische Tradition wie der Nikolaus, tauchen zuhauf auf. Vieles goldet still vor sich hin. Von der nikolausigen Transportangelegenheit – in meiner Kindheit konnte nicht abschließend geklärt werden, wer denn nun die Geschenke brachte: das Christkind oder der Nikolaus? – dominiert inzwischen das Dekogewerbe und übrig geblieben vielerorts: Der Hirsch! Als solcher und mächtig golden und mit viel Gedöns. Und neuerdings: der nachdenkliche Hirsch. Ich glaube jedenfalls, dass die Pose so etwas darstellen soll. Das letzte Mal jedenfalls, als ich mit beidseitig aufgestützten Vorderhufen am Schreibtisch saß, hatte ich mit einer heftigen Schreibblockade zu tun und wurde darüber so nachdenklich, dass ich meine Pfoten/Klauen? nicht mehr zum Tippen brauchte, sondern zum Aufstützen des unglaublich schweren – wiewohl gedankenleeren – Kopfes! Das muss die Pose sein! In diesen Tagen habe ich noch andere Hirsch-Hypothesen entwickelt: Hypothese: Melania Trump hat das Weiße Haus mit 50 Weihnachtsbäumen, 200 Meter Girlanden und 55 Kilo Lebkuchen schmücken lassen. Ganz klar: Der Hirsch macht sich Sorgen um den Lebkuchen. Der wird doch steinhart! 2. Hypothese: Thema des Weihnachtsfestes, so mitgeteilt von Melania Trump auf X, ist im Weißen Haus: „Zuhause ist, wo das Herz ist“. Wow, das ist doch mal eine fundamentale Aussage! Ganz klar, der Hirsch macht sich Sorgen um dieses Herz. Und: Kaufen wir nun alle tolle Deko, weil wir auf der Suche sind nach diesen unseren ZuHause-Herzen? Ich meine das viel ernster als es so klingt, nicht nur der nachdenkliche Hirsch ist in Sorge um die Welt, in der ein beheimates Herz zugemüllt von Glitter schlägt…  

Feuer und Frauen – Island für Anfänger und Innen

  Feuer und Frauen – Island für Anfänger und Innen Kein Reisebericht Frauen „Ich bin zu 110 Prozent Feminist“, sagt unser Reiseleiter und dann sehr ernst in das leicht irritierte Knickern seiner deutschen Reisegrupp hinein: „Das muss man als Mann schon sein!“ Voller Ehrfurcht und Hochachtung erzählt er von Vigdis, die 1980 das erste weibliche Staatsoberhaupt Islands (und überhaupt) war. Ich bin ganz gut vorbereitet in dieser Frage, weil ich die Texte von Anne Siegel gelesen habe, aber trotzdem beeindruckt und denke an die blöden Sprüche von „der Mutti“ und dem Gemäkel an Frisur und Jackett unserer Kanzlerin. Das hier hört sich entschieden anders an. Er lobt auch die derzeitigen Politikerinnen und deren großartige Leistungen. Der Nachname von Vigdis ist Finnbogadottier, gleich mal zum Eingewöhnen an die für unsere Augen und Ohren etwas schwierigen Namen (Dottier ist Tochter von und relativ unwichtig, denn sortiert wird– auch im Telefonbuch – nach den Vornamen der Menschen). Da stellt man sich gleich die 4000 Noahs und 7000 Julias im Lingener Telefonbuch vor. Es macht eben auch einen Unterschied, ob ein Land nicht einmal 400 000 Einwohner hat (Island, wie eine deutsche Großstadt, etwa Köln) und nicht 83 Millionen wie Deutschland. Island ist weltweit eines der ersten Länder, das Frauen das Wahlrecht (1915 für Frauen über 40, 1920 für alle) verlieh. Dass aber auch dort weiterhin Handlungsbedarf in der Angelegenheit Gleichberechtigung besteht, zeigt die Tatsache, dass nicht nur 1975 satte 90 Prozent! der Frauen die Arbeit niedergelegt haben, sondern auch noch 2023 die Hälfte der isländischen Frauen (ca. 100 000) streikten. Ich rechne mal kurz: Das wären in Deutschland etwa 20 000 000, die nicht zur Arbeit gingen, nicht die Kinder aus der Kita holten und kein Mittagessen kochten. Und im Falle befürchteter Repressalien durch den Arbeitgeber halt an ihren Arbeitsplatz gingen und dort strickten. Letzteres stelle ich mir ziemlich witzig vor… Unser Reiseleiter hat in Tübingen studiert, was sein ausgezeichnetes Deutsch mit eingestreutem „soodele“ erklärt und er hat aufgepasst. Er möchte lieber weiter in Island leben…Wenn es aber im „Frauenparadies“ immer noch viel zu tun gibt, dann könnte eine doch angesichts derzeitiger Entwicklungen einen ordentlichen Skepsis-Anfall haben. Hat sie auch, aber jetzt kommt die Sache mit der Landschaft… Feuer Feuer und Eis, um dem Stereotyp gleich mal Rechnung zu tragen. Und was soll ich sagen: Amtlich sehr viel schöne Gegend! Gegend und Schafe, Gegend in Schwarz (Vulkane) und Weiß (Schnee) und Grün (Wiesen). Dazu kommt das Blau der Lupinen, des Himmels und des Wassers. Wir fahren zu beeindruckenden Geysiren und wunderschönen Wasserfällen. Die Kombination aus Gletschern, Vulkanen, Wasserfällen, Lavafeldern und geothermalen Quellen ist beeindruckend. Etwa 11% der Fläche Islands ist von Gletschern bedeckt. Sie sind nicht nur schöne Naturphänomene, sondern auch wichtige Wasserquellen und Klimaregulatoren und ihr Abschmelzen bereitet den Isländern Sorge. Trotzdem: Amtlich schön all das! Island liegt auf der Grenze zwischen der eurasischen und der nordamerikanischen tektonischen Platte, was zu einer außergewöhnlich hohen vulkanischen Aktivität führt. Angesichts blühenden Thymians und Dryas octopetala lacht auch mein Botaniker-Herzchen. Und der kleine Botanische Garten in Akureyri (auf dem A betonen!) ist nett, alles dort etwa 4 Wochen später als bei uns. Also: Frühling reloaded! Und ja, … die Lupinen: Von den Wikingern an wurde abgeholzt, was das Zeug hielt -davon können viele Länder ein langes trauriges Lied singen – was dann irgendwann zu Bodenerosion führt. Die Isländer haben zwei Antworten darauf. Die eine ist Aufforstung, die inzwischen erstaunlich gut funktioniert. Das dauert aber. Der dazugehörige Witz ist: Wenn man sich in Mitteleuropa in einem Wald verirrt, hat man eventuell ein Problem. In Island braucht man nur aufstehen und nachsehen, wo man ist… Es gab aber schon auch ganz beeindruckende Ergebnisse. Es braucht halt… Die andere Antwort: kanadische Lupinen. Tiefwurzler, die auch noch Stickstoff in den Boden einbringen. Ende Mai ist Island blau vor Lupinen, die sich ungeheuer verbreitet haben. Wie schön…und was für eine gute Idee! Kleine Schönheitsfehler gibt es allerdings immer dort, wo Menschen in den Naturkreislauf eingreifen. Die Lupinen verbreiten sich so stark, dass die endemischen Pflanzen das Nachsehen haben… Wo 100 Grad heißes Wasser aus der Erde spuckt, gibt es keine Energieprobleme, wenn es gelingt, den ungeheuren Reichtum der Erde nutzbar zu machen. Die geothermische Energie wird nicht nur für die Stromproduktion genutzt, sondern auch für das Beheizen von Häusern und die Versorgung von Schwimmbädern. Hrefna Kristmannsdottir ist Geothermalpionierin (Anne Siegel, Wo die wilden Frauen wohnen, S. 87 – 119). Sie kehrt nach ihrem Studium in Norwegen 1971 nach Island zurück. Die weltweite Ölkrise ist überall Thema und aus der Angst, die Öllieferungen könnten willkürlich kontrolliert werden, sind erneuerbare Energien von höchstem Interesse. An dieser Stelle fällt wiederum der Name Vigdis‘, die von Hrefna für das Erkämpfen der Frauenrechte gelobt wird. Der in aller Welt berühmte Streik der Frauen Islands 1975 wurde „Frauenruhetag“ genannt und wird bis heute begangen. Obwohl Hrefna an diesem Streik nicht teilnehmen kann, weil ein wichtiges Drilling anliegt, ist sie dankbar (und wird von ihrem Mann gerügt, sie sei ja gar keine richtige Feministin), dass der Weg nun geebnet ist für sie als erste Geothermieingeneurin. Vulkane Leider hindert uns ein Sturmtief daran, die Westmännerinseln zu besuchen. (Später lungert es vor Schottland herum und hindert uns am Einlaufen in Stornoway und Scrabster) Nicht nur die Westmänner sind Zeugnis dafür, dass der isländische Vulkanismus hoch aktiv und gefährlich ist. Nur durch Zufall überleben die Bewohner von Heimaey (Hauptinsel) den Ausbruch von 1973. Kurz vor der Stadt bildet sich gerade mal eben ein neuer Vulkan, der Eldfell. Nur weil alle Boote im Hafen sind, können die Bewohner schnell evakuiert werden. Zwischen 1963 und 1967 entsteht südlich von Island eine ganz neue Insel (Surtsey) durch Unterwasser-Vulkantätigkeit. Sie ist eine Art Naturlabor, in dem Forscher die Entstehung eines Ökosystems beobachten können. 2010 kommt es dann zum Ausbruch des Eyafjallajökulls, dieses Vulkans, der Nachrichtensprecherinnen in aller Welt zur Verzweiflung gebracht hat. Nach der Finanzkrise 2008 ist gerade zögerlich isländischer Tourismus im Entstehen – und nun dies: ein schier unaussprechlicher Vulkan, der weltweit den Flugverkehr 8 Tage lang lahmlegt! Zur Überraschung der Isländer sind die Menschen aber nun erst recht an ihrer Insel interessiert. Es gibt sogar einen Wohnmobiltourismus dort und auch die üblichen Tourismusfolgen: Menschenansammlungen an den bei Instagram und Co gepriesenen Stellen. Ich finde aber trotzdem: Amtlich viel wunderschöne Landschaft, jede Menge Platz für Schafe und Islandpferde und ein paar Touris kann diese faszinierende Gegend doch wohl verkraften! Probieren Sie es aus: Ein langer Blick auf dieses Schwarz-Weiß-Grün-Blau, ein paar Atemzüge…das ist wie Meditation. Wunderbar, dass es so etwas gibt. Ein paarmal, zum Beispiel in einem ganz in Fischgeruch gehüllten kleinen Küstenort – das muss ich auch gestehen – habe ich gedacht: „Ganz schön der Arsch ab!“ (pardon, aber das gibt das Gefühl am besten wieder). Dazu erzählt der Reiseführer, im Winter sei es nicht mehr als 3 Stunden hell dort. Menschen mit depressiven Verstimmungen sind da wohl nicht so gut aufgehoben. Fortschritt Manche Isländer behaupten, ihre Insel sei 1945 durch die Amerikaner von grauer Urzeit in die Neuzeit katapultiert worden. Dazu sollte man Gunnar Gunnarsson lesen. Sein Roman Schwarze Vögel (neu übersetzt 2009) schildert das bäuerliche einsame Leben im beginnenden 19. Jahrhundert. Der Text gilt als „erster Krimi Islands“. Man kann ihn so lesen und/aber auch als großartige Schilderung der Lebensverhältnisse, Menschen, der Frage nach Schuld und Unschuld. Gunnarsson, der zunächst dänisch schrieb, ist nach seiner Rückkehr nach Island verstummt. Die Dänen und auch andere hatten ihm seine Aufenthalte in Deutschland während des Dritten Reiches übelgenommen. Er hat sich dazu nur wenig geäußert, schrieb 1945 allerdings „Ich blutete innerlich.“ Wir besichtigen sein Haus und ich finde: dieses Ehepaar sieht nicht eben glücklich aus. Vielleicht hat sie ihm auch übelgenommen, dass er – salopp gesprochen – immer etwas „am Start“ hatte – seine Geliebte und sein uneheliches Kind wohnten in der Nähe? Mythen Buchladen in Akureyri: Sehen Sie die unheimliche Katze da vorne (das ist ein Kinderbuch!)? Die Weihnachtskatze, auf Isländisch Jolakötturinn, ist eine furchteinflößende Gestalt und gehört zum isländischen Weihnachtsgedöns. Ganz schön unheimliche Stories gibt es da. Unser Knecht Ruprecht ist direkt ein Waisenknabe dagegen. Angeblich streift die Weihnachtskatze durch die verschneiten isländischen Landschaften und lauert insbesondere jenen Menschen auf, die zu Weihnachten keine neuen Kleider bekommen haben. Hä, wie? Diese Gruselgeschichte erzählt uns eine Reiseleiterin auf dem Rückweg von einem wunderschönen Wasserfall. Es tritt leichter Unwille auf. Die Trolle mit ihren menschlich-allzu menschlichen Doof-Eigenschaften finden wir ja noch ganz komisch, aber eine Katze, die Kinder frisst? Der Brauch, neue Kleidung zum Fest zu verschenken, gründet natürlich in Schafzucht und Wollverarbeitung. Jede und jeder musste helfen dabei und wer faul war, wurde eben von der Weihnachtkatze „gefressen“. Heute tritt die ganze Geschichte pädagogisch gemildert zu einer leichten Drohgebärde an diejenigen auf, die sich nicht an der Gemeinschaftsarbeit beteiligen. Unsere Reiseleiterin findet das etwas langweilig. Auha! Schottland – zum Schnuppern und vermutlich Wiederkommen Leider treibt sich nördlich von Schottland ein Sturmtief herum. Deswegen gibt es eine Routenänderung, die einige Gäste, die auf dem Hinweg zu den Färöer-Inseln beim Überqueren der kabbeligen Nordsee schon ziemlich grün im Gesicht waren, ganz dankbar aufnehmen. Allerdings fallen damit die Westmänner-Inseln, Stornoway und Scrabster „ins Wasser“ oder wie immer man das nennen mag. Wir laufen Rosyth an und haben nun mehr Zeit für Edinburgh, einen Besuch bei Nessie (Loch Ness) und Beauly, einem kleinen Ort westlich von Inverness. Schottland begrüßt uns mit einem entschlossen mittleren Grau. Und doch: Was in Minuten, manchmal in Sekunden an Lichtveränderung, Wolkenschieben, dräuenden Wettern im Wechsel mit strahlendem Sonnenschein geschieht, ist oft atemberaubend schön. Automatisch werden die Wolken ein wichtiges Motiv, das alles andere überstrahlt – obwohl da oftmals gar nichts strahlt, sondern eher droht. Nessie ist – wie schon erwartet – grad nicht zu Hause, dafür fegt ein kräftiger Wind über den See und das ablegende Touristenboot brettert so schnell, dass sie ja wohl grundständig verschreckt ihr Leben im tiefsten Untergrund fristet und niemals heraufkommen wird, solange die Touristen nach ihr Ausschau halten. Das kann ich verstehen – und dass sie eine Schottenmütze trägt, ist ja wohl nicht euer Ernst! In Beauly falle ich über einen Laden, der „hoppla, ein Gänseblümchen“ (oops, a daisy) heißt. Drinnen sind lauter „Blumen“ und gar keine einzige Daisy, nur künstliche Blumen, ebensolches Obst und ein ebenso doofer Igel. Die Schotten sind, wie mir mehrfach auffällt, recht sorglos mit solchen Kunstblumen… dabei blüht draußen überall leuchtend gelb der Stechginster…dabei muss ich immer an Ringelnatz denken („Ich habe dir nichts getan, nun ist mir traurig zumut, an den Hängen der Eisenbahn leuchtet der Ginster so gut“). So ein schönes Bild für Melancholie … und hier lauter Kunstblumen…   In Edinburgh begrüßt uns ein very scottish aussehender Reiseführer, der uns auch erstmal die schottische Aussprache des Stadtnamens (Edinburra) erklärt und die englische Aussprache mit vernichtendem Schweigen belegt. Er trägt einen Dortmund-Sticker an seinem Jackett und hat sich mit seinem Fan-Sein seinen deutschen Freunden angeschlossen. Er spricht gutes Deutsch, das er aber erst nach seiner Pensionierung gelernt hat. Hochachtung John! In Edinburgh begrüßt uns ein gelber Herr (Sie wissen schon: der immer erst kommt, wenn der Tag gelaufen ist) und bietet uns allerlei Abendgetränke an. Die Flasche für 2400 Pfund lassen wir ihm aber, denn es gibt berechtigte Zweifel an der Tatsache, dass ein so hoher Betrag herausgeschmeckt werden kann und Prestigeobjekte dürfen bei Jonny bleiben. Edinburgh ist eine grüne Stadt mit interessanter gegensätzlicher Struktur. Wir gehen die Princess-Street hinauf und und die Royal Mile herab. Am Ende muss ich die Brücken von Edinburgh so oft in der Abendsonne fotografieren, dass ich denke: Riecht mächtig nach wiederkommen! Zu guter Letzt: Das Traumschiff und wir Ja also, das war so: Erstmal haben wir gar nicht gemerkt, dass wir DAS Traumschiff gebucht hatten. Die boten halt Island von Bremerhaven aus an und nicht mit vielen Umwegen über Frankfurt/Heathrow/Dover oder weiß der Geier von wo. Dann bekamen wir ein Anschreiben von Phoenix, wir hätten DAS Traumschiff (aha, heißt Amadea) gebucht und dort fänden – logisch – die Dreharbeiten zur Island-Traumschiff-Sendung statt. Ist ja nicht schlimm. Also Bildungsauftrag: Traumschiff gucken.   Na ja, was soll ich sagen: kleine Fluchten mit viel Idylle und nicht unnötig verwirrendem Handlungsverlauf. Wenigstens weiß man vorher schon, wie es endet und muss sich nicht mit kafkaesken Wirrsalen herumschlagen…also was fürs Sofa, wenn man wirklich nicht mehr viel zu verpulen hat. Aber ein Aspekt kam für uns gleich beim ersten Abendessen hinzu: Lektion Traumschiff: Das Ehepaar aus der ehemaligen DDR, mit dem wir gleich am ersten Abend auf der wilden Nordsee das wirklich köstliche kleinteilige Abendessen vertilgten, teilte sehr ernsthaft mit, das Traumschiff sei ihre vormalige Reisemöglichkeit gewesen, der Traum, in die Welt hinaus fahren zu können. Jetzt seien sie schon einigermaßen froh, ab und zu diesen Traum in die Realität umsetzten zu können. Ehrlich: Ich hab so ein bisschen betroffen in mir nach dem arroganten Wessie herumgeprokelt und siehe da. – Da saß er in der Ecke und konnte sich lange nicht vorstellen (Traumschiff gibt’s seit 1981, ganz schön ignorant, es noch nie gesehen zu haben), dass es Sehnsucht nach einem solchen Format – Romantik, Reise, heile Welt – geben kann und dass das beileibe nicht unanständig ist. Lektion Traumschiff: Nach und nach tauchte die Filmcrew überall auf dem Schiff auf. Der Mann mit der Pudelmütze bei der Seenotrettungsübung (Silbereisen), der bärtige Mann mit dem Banjo, Villon singend (schon deswegen bei mir Stein im Brett, Wohlfahrt), die nette Frau mit der Baskenmütze (Wussow), die Frühstücksplauderer über Gott und die Weltlage, die sich am Ende für das schöne Gespräch bedanken. Alles ausnehmend nette Menschen ohne irgendwelche Allüren oder Träller. Sei fügten sich geradezu nahtlos in die familiäre Atmosphäre des Schiffs ein. Was für eine schöne Erfahrung! Herzenswunsch: Könnte diesen ungeheuer sympathischen Menschen vielleicht einer etwas pfiffigere Drehbücher schreiben? Dann wäre ich auch über die Island-Sendung hinaus dabei. Lektion Traumschiff: Das Traumschiff Amadea ist natürlich in picobello Zustand – klar, wird ja an jeder Ecke gefilmt und es wäre peinlich, wenn der Lack blätterte. Die Crew einschließlich der Filmcrew: ebenfalls picobello Zustand, freundliche familiäre Atmosphäre. Unbedingt etwas gelernt: Traumschiff ist auch für Menschen gut, die nicht uneingeschränkt glühende Fans der Serie sind.

Gunnar Gunnarsson, Schwarze Vögel

Unbedingt lesen: Gunnar Gunnarsson, Schwarze Vögel, übersetzt nach der dänischen Erstausgabe unter Berücksichtigung der vom Autor später hergestellten isländischen Fassung und mit einem Nachwort versehen von Karl-Ludwig Wetzig, Ditzingen (Reclam) 2019 (zuerst 1929) Sehr spannend und informativ zu den isländischen Lebensverhältnissen. Das Nachwort bietet auch noch viel Background zu Gunnarsson.

Anne Siegel, Frauen, Fische Fjorde

Lesen: Außerdem großartig für etwas historischen Hintergrund: Anne Siegel, Frauen, Fische, Fjorde, Deutsche Einwanderinnen in Island. Wussten Sie, dass es 1949 eine Auswanderungsbewegung von deutschen Frauen nach Island gab? Sehr interessante Schilderung von 10 Schicksalen mit einem Vorwort von Kristin Steinsdottir (isländische Autorin).