Nepal 2076 (April 2019) (für Bilder: anklicken)

Geschüttelt und gerührt: Reiseimpressionen Nepal „Geschüttelt, nicht gerührt“, gilt als eines der bekanntesten Filmzitate. Wir erlebten Nepal geschüttelt UND gerührt. Geschüttelt: Es gibt in Nepal 3 Arten von Straßen: Schlechte, sehr schlechte und besonders schlechte. So eine Rundreise schüttelt einen ordentlich durch. Ich hatte nach einer Zeit eine Technik entwickelt (Nackenhörnchen, Musik in den Ohren und bei Bergstraßen den Blick streng auf die Botanik der Böschung gerichtet, ab und zu einen Schwenk auf die atemberaubend schöne Landschaft wagen). 170 km können so leicht zur Tagesreise werden, in und um Kathmandu kommen gerne noch ein paar Staus hinzu. Gerührt: Trotzdem keinen Moment die Reise bereut, ganz oft gerührt von so viel Schönheit der Landschaft, der Architektur, der Liebenswürdigkeit der Menschen. Diese Menschen sind bei allem Elend so freundlich, so offen und fröhlich, dass es einem manchmal geradezu den Atem verschlägt. Sushil, unser toller Reiseleiter, ließ keinen Zweifel daran, dass er den Tourismus für einen Baustein zur Rettung der Nepalesen hält. Dieses kleine Land, eingeklemmt zwischen und drangsaliert von Indien und China braucht Hilfe. Tourismus könnte ein Element sein, Hilfen zum Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben von 2015 sieht man an vielen Stellen, aber das wird nicht reichen. Also bitte: Nach Nepal reisen! Sushil und ich empfehlen es deswegen und für eine andere Sicht auf die Welt!

Tipp 17: Wenn wir zum Ende kommen

„Es war im letzten Jahr, in einem Monat des Frühjahrs, mitten am Tag, als mir plötzlich bewusst wurde, dass ich nicht ewig leben werde. Das ist natürlich nicht besonders originell…“ (Endlich, S. 37) Dieses Buch beginnt mit dem Vorwort der Bereichsleiterin der Städtischen Friedhöfe Hannover und dem Bekenntnis von Kersten Flenter: „Ich mag Friedhöfe!“ Ich auch. Und ich mag dieses Buch, es hat mich das ganze letzte Jahr begleitet. Ich habe es letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt bekommen und meine Tochter Biena Monecke glaubte sich wegen des Sujets und des Zusammenhangs ein wenig entschuldigen zu müssen. Aber das passt doch genau: Am Geburtstag ist wieder ein Jahr gelebtes Leben vorbei. Meine Leser und ich sind Texte zum Thema Tod außerdem gewöhnt (WAS ABER…), er gehört zum Leben dazu und diejenigen, die diese Tatsache am heftigsten vor sich selber verbergen, haben die größte Angst vor seiner Endgültigkeit. Diese Textsammlung von kurzer Prosa und Gedichten, schlüssig und schön illustriert von Biena Monecke, gibt ihren Lesern eine Chance sich mit Melancholie, Ironie, Nachdenklichkeit dem Thema zu nähern. Oft muss man lächeln, manchmal sogar lachen in vollem Ernst. Die Gefühle bleiben auf unnachahmliche Art und Weise in der Schwebe, es gibt die Chance sich selber zu treffen mit all seinen Ängsten, Zweifeln, verborgenen Gefühlen und seinem Spaß am Leben und seinem Wissen um das Ende. Ich habe in meinem 69. Lebensjahr immer wieder darin gelesen und werde es im 70. auch nicht ganz zur Seite legen. „Zeit und Trauer sind Freunde. Das Gras leuchtet jeden Tag in einem anderen Grün. Mehr müssen wir über den Tod nicht wissen.“ (S. 72) Lesen Sie das! Sie erfahren viel über sich selber. Auch wenn Sie vielleicht noch nicht 70 werden! Kersten Flenter /Biena Monecke, Wenn wir zum Ende kommen, Texte und Zeichnungen, Helmstedt 2018 (Blaulicht Verlag) Texte und Zeichnungen über Friedhöfe und Tode, Trauern und Abschied nehmen. Mit einem Vorwort von Cordula Wächtle

Großer Bruder geht (für Bilder klicken)

Großer Bruder geht Ein Text zum Tod von Eberhard Poske (27.08.1935 – 30.03.2020) Da sind sie wieder, die Beiden mit der kleinen Katze. Der kleine Eberhard, der seine Mutter um 1 Jahr, 4 Monate und 27 Tage überlebt hat und nun von uns gegangen ist. Alwine und Eberhard, etwa 1938 Aus Sicht unserer Mutter ist er also „nur“ 84 geworden und als bereits 105jährige hat sie uns mit dem Spruch Ich glaube, der Eberhard ist ja viel schlimmer dran als ich einigermaßen sprachlos gemacht. War er das? Frontotemporale Demenz lautete die Diagnose in Münster und erschrocken wurden innerfamiliär die Medizinlexika gewälzt. Was man schon bemerken konnte: Verschwinden der Wörter. Unheimlich! Wenn ein sprachlich so eloquenter Mensch, der einen ganzen Familienabend argumentativ beherrschen konnte, verzweifelt um Worte ringt, das ist schon unheimlich. Zwischendrin meldete sich etwas fasziniert die Linguistin in mir: Die Syntax, die Satzbaustrukturen, bleiben einschließlich Nebensatzkonstruktionen noch lange erhalten, nur die Wörter passten nicht. Noch unheimlicher! Aber mit dem Inhalt der Wörter verschwand auch der logische Zusammenhalt der Welt. Als seine wirklich hochrangigen Weinkenntnisse eines Abends in der steilen These landeten, aus Äpfeln könne man ganz prima Chardonnay machen, leisten wir zunächst argumentativ Widerstand, um dann dezent das Thema zu wechseln und uns später sich auf dem Heimweg wie ertappt die Frage zu stellen, ob man die komische Seite solcher Dinge wahrhaben wollte. Er selber hätte ja wenige Jahre zuvor herzlich gelacht. Diese verdammte Krankheit passte noch weniger zu diesem Menschen als alle anderen blöden Krankheiten, fanden wir. Einen hochkompetenten Computerfachmann, der uns allen vorher -natürlich nicht ohne uns zu erklären, dass wir ja ganz schön blöd wären- jedes noch so verrückte Problem gelöst hatte, an seinem eigenen Drucker und dessen von ihm selber vermutlich komplex angelegten Programmroutinen verzweifeln zu sehen, das war sehr schmerzhaft. Das Verschwinden der Wörter? Wann fing das an? 2016 beim 103. Geburtstag seiner Mutter hat er seinen Humor und – leichte Wortfindungsstörungen Wann das anfing? Nach einer komplizierten Herzoperation fanden wir ihn völlig verwirrt in der Klinik, orientierungslos, geschichtslos, entwurzelt. Zu Hause fand er mit Hilfe seiner Frau, seiner Familie, die sich rührend um ihn und seine Frau kümmert, zu einer gewissen Alltagsform zurück. Aber der Faden zur realen Welt war oft nur noch lose geknüpft. Und altes Wissen um komplexe technische Zusammenhänge entlud sich in kurzen Reparaturen, nach denen jeweils der gesamte Haushalt funktionslos sein konnte. Ein paar ganz fundamentale Rollen bleiben: Seine Mutter und er hingen sehr aneinander. Oft mussten wir Alwine trösten, die seinen Zustand hellsichtig erkannte. Warum lässt der sich so plumpsen? fragte sie, seine nachlassende Muskelspannung wohl erkennend. Sie wollte ihren Sohn nicht so haben, nicht so schwach. Viele Jahre, als sie noch gärtnern, aber nicht mehr Radfahren konnte, brachte er sie brav jeden Abend aus ihrem kleinen Paradies in der Schwedenschanze nach Hause. Überhaupt: Der große Bruder, das war seine andere große Rolle. Drei jüngere Schwestern und ein großer Bruder, der gerne immer hilfreich sein wollte, aber auch mal starrsinnig sein konnte. Ich als Jüngste mit dem größten Abstand habe da sicherlich am meisten von seiner Fürsorglichkeit profitiert. Durch den frühen Tod unseres Vaters waren wir nicht gerade brillant gestellt. Wenn es richtig kniff, der Tanzkurs zum Beispiel trotz großen Wunsches nicht bezahlt werden konnte, dann half der große Bruder. Und da ich noch zwei große Schwestern habe: Die große große Schwester nähte dann das Kleid, die kleine große Schwester nahm die blöde kleine Schwester mit in den Urlaub. Zum Glück der kleinen Schwester gehört dann auch noch das, was Helmut Kohl mal Gnade der späten Geburt genannt hat. Eberhard konnte studieren, weil die Familie das Geld für eine private Uni aufbringen wollte (eigentlich nicht konnte), mehr – also für die Schwestern – war nicht drin. Die kleine kleine Schwester lebte dann in Zeiten von Honnefer Modell und BAFÖG. Auch dann half großer Bruder noch gelegentlich, und wenn es mit einer Unterschrift bei der Bank war. Gratulation zum 104. Geburtstag: Mutter und Sohn 2017 Ich bin heute fast 71 Jahre alt. Und zwischendrin ist und bleibt es erstaunlich, dass ich die kleine Schwester eines großen Bruders geblieben bin, der so hilflos wurde, der aber immer noch Wärme geben konnte mit seinem kleinen schiefen Lächeln. Als er das letzte Mal nach Hause kam, hatte er sich einen kleinen Blumenstrauß gewünscht (wir hatten eine interessante Art der Kommunikation entwickelt mit von mir vorgeschlagenen Texten und einem gelegentlichen kräftigen JA von ihm). Darüber hat er sich offensichtlich sehr gefreut. Was sonst in seinen Gefühlen und seiner immer enger werdenden Welt so los war, das wissen wir alle nicht so wirklich. Dass er dann in den letzten Wochen seines Lebens auch noch Opfer der Corona-Pandemie wurde, zwar nicht durch Infektion, wohl aber durch die Umstände, war für seine unmittelbare Familie besonders schmerzhaft. Als es zu Hause nicht mehr ging, brachten ihn seine beiden Töchter in die Pflege. Dort: Kontaktsperre! Was macht man mit einem Telefon, wenn die Wörter verschwunden sind? Seine Frau und seine beiden Töchter (schon wieder nur Frauen in der Familie!) hatten es bestimmt nicht immer leicht mit ihm, aber am Ende wurde er weich, zuwendungsvoll und behielt seinen Humor. Ich denke, es blieb der Kern, der viele Jahre unter ironischer Rauhbeinigkeit und Besserwisserei von ihm verborgen wurde. Warum? Muss man einen so weichen Kern nicht wohl schützen? Adieu großer Bruder. Und alles Gute für die, die nun weiterleben ohne dich!        

Meine pädagogischen Lieblingsgräusche

I. Achtung! Die Queekies kommen wieder! Die Herbstferien in Niedersachsen gehen zu Ende. Ab Montag wird wieder gequeeekt. Das Leben sucht sich doch immer wieder besondere Prüfungen für uns aus. Gegenüber einer Grundschule zu wohnen kann ja wohl kaum eine Lebens-Erschwernis sein. Mal abgesehen davon, dass die Elterntaxis uns grundsätzlich morgens brutal zuparken, dass viele Eltern meinen, sie müssten ihre Kinder mit laufendem Motor (direkt unter unserem Schlafzimmerfenster) beobachten, bis der letzte rosa Tütüzipfel in der Schultüre verschwunden ist…nein, das kann man ja als kinderlieber Mensch leicht aushalten. Schlimm sind zwei Geräusche, gegen die ich mein Leben lang gekämpft habe: Zum ersten dieses langgezogene Ferkelquieken, Mischung aus Vergnügen und Grausen, das ein Gutteil der Grundschulkinder für ihr persönliches Lautäußerungsrecht in allen Pausen und nach der Schule halten. Dabei entwickeln sie zum Teil beachtliche Phonstärken. Ich liebe Kinder, ehrlich, aber das war immer das erste, was ich ihnen abgewöhnt habe, wenn sie bei uns in die 5. Klasse kamen. Sie brachten das Quieken mit, ja, es machte sogar oft den Eindruck, dass es ohne Absicht aus ihnen herauskam, sozusagen als Einbauimmission. Denn auf die Frage „warum quiekst du so furchtbar?“ kam häufig die völlig ehrlich erstaunte Rückfrage „ich quieke?“. Manchmal habe ich diese Renn-Queekies mit unpädagogischem Rollgriff aus dem Renn-Quiek-Betrieb in unserer Eingangshalle gefischt. Rennen und dabei quieken scheint eins zu sein. Es muss heraus! Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die motorische Kasernierung unserer Schüler ihr Ventil sucht!?    

Tipp 16: Barnes, Der Lärm der Zeit

Ein Buch mit Folgen: Lesen, um den Komponisten zu verstehen, seine Musik, Lesen als Vergnügen. Geht doch. Bei Barnes läuft alles das ineinander. So manche Künstlerbiografie versandet im Entlanghangeln an den Lebensdaten, den Ereignissen, im Aufzählen der Werke im Schaffenskontext …. und dann hat er  nach Stalins Tod 1953 seine 10. Sinfonie geschrieben. Nix da! Barnes macht das anders und bringt uns Schostakowitsch ganz nah, als Figur begreifbar, entschuldigt dabei nichts, aber erklärt mit klaren Linien künstlerische Existenz in einem irrational totalitären System. Drei Kopf-Bilder aus dem Text sind mir auch Monate, nachdem ich das Buch gelesen habe, optisch und emotional präsent: Die Verhaftungen durch die Geheimpolizei erfolgen nachts. Schostakowitsch will nicht überrumpelt, beschämt, erschrocken aus dem Bett geklingelt werden. Lange Zeit steht er mit einem gepackten Koffer neben dem Lift, Nacht für Nacht…Das ist mit fast kargen Worten so beschrieben, dass ich dieses bedrückende Bild nicht wieder loswerde. 1936 erscheint Stalin in der Oper, um das bis dahin staatlich akzeptierte Musikdrama „Lady Macbeth aus Mzensk“ von Schostakowitsch zu begutachten. Er verlässt nach der Pause das Theater, was einem tatsächlichen oder mindestens künstlerischen Todesurteil gleichkommt. Es folgt die Verbannung, klar, aber wie das geschildert ist: man kann es nachvollziehen, fühlen, anfassen, was das mit einem kreativen Menschen macht. Als Schostakowitsch als Mitglied einer sowjetischen Delegation in die USA reist, lässt Barnes seine Leser aus der Sicht des Komponisten den Schock über die oberflächliche Presse in einem freien Land und die Verweigerung seines Idols Strawinsky mit-empfinden. Und warum ich nun Monate, nachdem ich das Buch gelesen habe, sage: LESEN! Ich höre seine Musik und beginne sie zu verstehen (zum Beispiel Andris Nelsons, der seinem Schostakowitsch-Zyklus den bezeichnenden Titel „Under Stalin’s Shadow“  gab) und das ist definitiv Ergebnis dieser Lektüre. Julian Barnes, der Lärm der Zeit, Köln 2017