Literary nightclub

Sofortmaßnahmen gegen Staus (16.2.2019) …lese ich heute in der Lingener Tagespost. Eine Zeit lang war es ja vielleicht ganz lustig, sich als Großstadt zu fühlen mit einer richtigen ausgewachsenen Rushhour, dann war andauernd Rush und nun ist sie wohl auch endgültig unseren Mandatsträgern auf die Uhr gegangen, die Lingener Verkehrsmisere. Aus der Sicht einer Innenstadtbewohnerin jenseits des Rings habe ich da einen Vorschlag. Lassen Sie mich zunächst schildern, wie es sich anfühlt, in der Innenstadt zu wohnen: Uneingeschränkt toll! – Wenn auch…ein paar suboptimale Zustände gibt es schon. Nur einer und als Beispiel: Unsere Straße wurde gerade sehr chic neu gestaltet. Ein breiter Gehweg ist da, der morgens und abends die „Hol- und Bringeeltern“ der gegenüberliegenden Grundschule zum Parken einlädt. Mein Lieblingsvater der Woche ist dabei der, der immer den Motor (Wo bleibt das Kind so lange? Wieso geht das Kind so langsam in die Schule rein?) laufen lässt und dann noch seine Kippe aus dem Autofenster wirft, wenn das Herzchen endlich angetobt kommt. Das Erreichen des Konrad-Adenauer Ringes (heißt der so, weil besagter sooo lange regiert hat?) von dieser Nebenstraße erfordert jetzt schon vollen Einsatz. Mit dem Auto: Wenn ich mit dem Gegenverkehr ohne größere Blechschäden geklärt habe, wie in Deutschland rechts abbiegen auf eine vorfahrtberechtigte Straße (im Gegensatz zu links abbiegen) geht, steh ich dann halt in dem Stau – macht nichts, immerhin schon mal dabei. Wobei: Manchmal ist die Kreuzung zugeparkt von Menschen, die offenbar keine Kenntnis haben, welche Länge ihr Fahrzeug hat. Links abbiegen: ungleich schöner! Maximal 1,5 Fahrzeuge können sich bei Geschick der Beteiligten (und wieder unter Beachtung der Regeln bei Rechts- oder Linksabbiegen) auf den Ring mogeln. Dabei gilt es, möglichst nicht unnötig viel Radfahrer zu töten, die das Rot der dortigen Ampel offenbar für höchstens einen schwachen Vorschlag halten. Wenn ich dann dort – derweil um mein (Auto)Hinterteil, das noch nicht so ganz auf den Ring passt, bangend, stehe, dann stehe ich halt und blockiere den Verkehr genauso wie die, über die ich mich gerade zuvor geärgert habe. Zu Fuß: Schnell zur „Drück-Ampel“ rennen, wenn die Linksabbieger gleich durch sind. Ok, aber wenn nur noch ganz selten grün wird, dann vielleicht unter Einsatz der eigenen Unversehrtheit… die Autos stehen dann ja alle… Die Vorbildfunktion (Grundschulkinder!) hält mich ab. Mit dem Fahrrad: Am besten gar keine Regeln beachten (außer, wenn besagte Grundschulk…), nur dann kommt man halbwegs voran in Lingen. Aber: sehr auf das eigene Überleben bedacht sein, was besonders schwierig ist, wenn man -das geht hier manchmal gar nicht anders- Auto spielen muss… Wenn ich mir nun vorstelle, dass die Ampelschaltung den Ring noch stärker bevorrechtigen soll, als es jetzt während der Lingener Rushhours (Plural!) der Fall ist, würde das vielleicht einer Art Ghettoisierung der Bezirke jenseits des Ringes gleichkommen? Komm‘ ich dann hier nie mehr raus? Ich habe da in Analogie zu Ebbe und Flut einen Vorschlag: Lasst doch die Menschen von jenseits des Ringes so vormittags für ein Stündchen (ja, ja, sammeln, `rüberwinken…) in die Innenstadt schwappen und erlaubt die Rückkehr so ab Spätnachmittag (richtig: genauso). Vorteil: Kaufkraft würde so echt in der Innenstadt gefesselt und der Verkehr auf dem Ring könnte ungehindert fließen….   In meinen Büros hat immer ein Aktenordner mit dem Titel „Literary nightclub“ gestanden. Unter diesem Titel habe ich 45 Berufs- und Privatjahre immer mal wieder die Kuriositäten unseres wunderbaren Berufes und andere lustige Dinge aus Texten, Bildern und Baukunst gesammelt. Der Aktenordner steht jetzt Zu Hause und er wird mehr und mehr virtuell…   Auf Sizilien ist mir aufgefallen, dass die Menschen angefangen haben zu fotografieren ohne zu gucken. Heißt: Freundin/Freund als Vordergrund, Aetna, Gruft, Tempel…als Hintergrund…und äh…da warn wir! Wer Kurioses aus dem Alltag liebt, findet hier zum Beispiel schöne Beispiele interessanter Architektur!- und überhaupt… 1976 Meppen (Maristen-Gymnasium)

Tipp 9: Björn Kuhlig, Großraumtaxi

Etwas für zwischendurch: Berliner Szenen, zum großen Teil als Taz-Kolumnen erschienen. Wer irgendeine Bindung zu Berlin hat oder haben möchte, wird die kurzen Texte mögen. Gezeigt wird eine Stadt der stillen Helden, der Kellner, Bettler, Tankstellenwarte und Zeitungszusteller. Die Episoden machen schmunzeln, manchmal auch lachen, innehalten, wirken oft beiläufig bis banal und sind gerade deswegen lebendig. Oft genug auch mit einem Hauch Melancholie unterlegt, denn gezeigt werden nicht die Hippen, sondern die Schrägen, die Überlebenskünstler. Die Beschreibung einer Kneipenwirtin (immer scheinbar genervt, oft mit guten Sprüchen) ist so lebensnah, dass ich unbedingt an Frau Zint aus der Kolkschenke denken muss. „Kennst doch Jürgen, keene Zeene im Maul, aba „La Paloma“ pfeifen“. (S. 130) Oder, als die bestellten Würstchen noch kalt sind: „Ick bin keene Köchin, ick mach hier dit Bier!“ (S. 131). Absolut authentisch Berliner und Berlin! Björn Kuhlig, Großraumtaxi, Berlin 2014 (Verbrecher!-Verlag)  

Tipp 8: Zülfü Livaneli, Serenade für Nadja

Eine große Portion Geschichtswissen, toll verpackt in eine darart spannende Geschichte, dass man ein ordentliches didaktisches Klappern im Hintergrund akzeptieren kann. Gut auch, dass nicht nur die Zeit von 1933 bis 45 beleuchtet, sondern auch die Türkei der Jetzt-Zeit durch eine klug konstruierte Story in den Blick genommen wird. Maya (in ihrer Kindheit als Biene Maya gehänselt), eine junge Universitätsangestellte, betreut Besucher und erfährt nach und nach vom Schicksal ihres Schützlings, einem 87jährigen Professor, der am Ufer des Schwarzen Meeres bis zu seinem Zusammenbruch Geige spielt.

Tipp 7: Swetlana Alexijewitsch, Der Krieg hat kein weibliches Gesicht

Nicht lesen bei trübem Wetter! Wenn man sich auf die einzelnen Aussagen, ich bin zum Teil geneigt zu sagen: Geständnisse, wirklich einlässt, braucht es eine Portion Unerschrockenheit. Die geschilderten Dramen machen alle deutlich, wie perfekt die sogenannte Vaterlands-Mutterlandsliebe in den jungen Frauen funktioniert hat, in die Tiefe ihrer Persönlichkeitsstruktur eingesenkt war. Sicherlich gab es im 2. Weltkrieg ähnliche Erscheinungen auf zum Beispiel deutscher Seite, aber die Durchgängigkeit der Opferbereitschaft für die russsische Erde ist hier schon besonderes bedrückend. Ich musste immer wieder pausieren und konnte diese Funktionalisierung von Emotionen zum Töten nur schwer ertragen.