Mathilde Vaerting

FRAUEN! Wisst ihr, wer Mathilde Vaerting ist? Wisst ihr, warum ihr nicht wisst, wer das ist?

Vielleicht weil sie eine Frau war, die sich um folgende Themen gekümmert hat:

Gleichberechtigung der Geschlechter – KoedukationMathematikunterricht – Stures Auswendiglernen als Zerstörung der Intelligenz

Und weil das alles nicht schon karriereschädlich genug war und ist (!), lebte sie später mit einem 20 Jahre jüngeren Mann zusammen und verfasste Schriften, die sich an einer Ikone Nachkriegsdeutschlands abarbeiteten: Konrad Adenauer.

Immerhin: Messingen, ihr Geburtsort darf sich bald Frauenort nennen…und ihr Grab kann man nun auch wieder finden, aber die Namensgebung einer Schule hat sie sich versaut durch steile Thesen gegen „Conny“.  Mathilde, ach Mathilde …

Und mein Anteil dabei? Ich werfe mir vor, damals nicht hartnäckiger für sie als Namenspatronin der Gesamtschule Emsland gekämpft zu haben. Sie hätte perfekt gepasst..aber da waren mal wieder die üblichen Windmühlenflügel..

Ich bin bis heute der Meinung, dass Mathilde Vaerting als erste geisteswissenschaftliche Professsorin des deutschen Reiches mit ihrem Werk eine sehr interessante und würdige Namenspatronin einer emsländischen Schule sein könnte!

Zwischen den Ordnern KRANK und LITARARY NIGHTCLUB steht in meinem Regal seit vielen Jahren ein Ordner, der MATHILDE, ACH MATHILDE …heißt (Untertitel: Mathilde Vaerting, eine verhinderte Namenspatronin). Heute habe ich ihn nach langer Zeit wieder hervorgeholt, denn Messingen darf sich Frauenort (LT vom 25.11.17) nennen (Glückwunsch, Frau Kottebernds!) Meine Geschichte ist schon etwas älter und handelt davon, dass manches im Emsland wohl etwas länger dauert (oder auch nie etwas wird!)

In meinen Büros hat immer ein Aktenordner mit dem Titel „Literary nightclub“ gestanden. Unter diesem Titel habe ich 45 Berufs- und Privatjahre immer mal wieder die Kuriositäten unseres wunderbaren Berufes und andere lustige Dinge aus Texten, Bildern und Baukunst gesammelt. Der Aktenordner steht jetzt Zu Hause und er wird mehr und mehr virtuell…

Mathilde, ach Mathilde….

Die Gesamtschule Emsland hieß in ihrer Gründungsphase IGS-Lingen und sollte später einen „ordentlichen Namen“ bekommen. 1997 tauchte der Vorschlag auf, sie Mathilde-Vaerting-Schule zu nennen nach der ersten Pädagogik-Professorin des Deutschen Reiches (Ernennung zum ordentlichen Professor (!) in Jena am 1.10.1923). Ihre Berufung damals war ein politisches Reform-Zeichen (Volksbildungsminister war Greil, SPD) und ihr Leben lang ist Mathilde über die langen Schatten der Männer und der Politik gestolpert. (Davon später von mir noch sehr viel mehr!)

Ich las mich warm und war hellauf begeistert. Ich fand sehr kluge Bemerkungen über Mathematik und Geschlechtererziehung. Ihre reformpädagogischen Ansätze passten gut zu der Schule, die ihren Namen bekommen sollte. Ihre scharfe Kritik an Patriarchat, Kirche und Militarismus … da waren schon ein paar ordentlich steile Aussagen dabei (, die mir ausnehmend gut gefielen:-).

1933 wird Mathilde von den Nazis aus dem universitären Dienst entlassen. Nach dem Krieg wird sie zu ihrer bitteren Enttäuschung nicht rehabilitiert.

Als ich herausfand, dass sie 1977 in Lingen bestattet wurde, fragte ich beim Friedhofsamt, wo ich ihr Grab finden könne. Mir wurde die Auskunft gegeben, das sei gerade abgeräumt worden. Meine geäußerten Einwände und mein Kurzvortrag „Wer war Mathilde Vaerting?“, den so mancher zu dieser Zeit von mir aushalten musste, zeigten keine Wirkung. Im Gegenteil, man beschied mir, auch nicht einmal den Ort des ehemaligen Grabes erfahren zu dürfen, denn das sei ja nicht mehr Mathildes Grab.

Die gesamte Aktenlage bis zu diesem Punkt gab ein Bild von einer Frau, die perfekt zu einer innovativen Schule als Namenspatronin passen würde: Gleichberechtigung in allen Bereichen, auch im Pädagogischen waren ihr ein großes Anliegen, außerdem ein Verständnis von Lernen jenseits von „Bimsen“, moderne Ideen zu Fremdsprachenunterricht waren zu finden und Vorstellungen zur Erneuerung der Lehrerbildung.

Super! Der Forschungsstand aus Sicht der Frauenbewegung auch perfekt. Die Stadt Lingen würde sich schon besinnen und das Grab irgenwann wieder finden, so dachte ich damals.

Aber in Mathildes Biografie gab es einen Knick durch ihr Berufsverbot von 1933. Sie hatte mit Sicherheit mit einer Rehabilitation gerechnet, sich auch darum bemüht, wurde aber kalt abserviert und war mit Sicherheit bitter enttäuscht. Mit ihrem letzten Doktoranden in Lebensgemeinschaft in den Schwarzwald zurückgezogen lebend,  gab sie eine Zeitschrift heraus, die sich mit Staatssoziologie beschäftigte und schon ein paar ordentlich steile Thesen vertrat. Das autoritäre Adenauer-Regime sah sie in einigen Aspekten als direkte Fortführung des III. Reiches.

Wir wurden vom Schulträger zurückgepfiffen, denn die Namensgebung einer Schule ist dessen Sache, in diesem Falle des Landkreises Emsland. Meinem Einwand, man könne bei jedem öffentlichen Menschen durch langes Suchen irgendwo ein paar schräge Thesen finden, wollte dann niemand mehr zuhören. Ich bin bis heute der Meinung, dass Mathilde Vaerting als erste geisteswissenschaftliche Professsorin des deutschen Reiches mit ihrem Werk eine sehr interessante und würdige Namenspatronin einer emsländischen Schule sein könnte!