Das Lehrer-Lämpel-Syndrom (für Bilder: anklicken)

Jetzt muss ich mich doch mal zu etwas Pädagogischem äußern. Wir im Institut (Dr. Michael Wildt und ich arbeiten für das IfpB -Institut für pädagogische Beratung – in Münster) ärgern uns regelmäßig über das Lehrererbashing  in den Medien. Der letzte Spiegel titelt Schulversagen. Der Artikel handelt eher vom Versagen der Kultusbürokratie, aber getitelt wird mit Lehrer Lämpel. Ärgert Sie das auch, dass immer so schnell die Schule zum Sündenbock gemacht wird? Lesen Sie unseren Text zum Thema Pädagogischer Populismus:

Das Lehrer-Lämpel-Syndrom!https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e9/L%C3%A4mpel.jpg

Ein Text von Dr. Michael Wildt und Irmgard (momo) Monecke, 27.04.20

Es geistert mächtig durch den Blätter- und Videowald und wir, die Aktiven im Institut für pädagogische Beratung, protestieren energisch gegen den sich immer mehr verbreitenden Populismus in der Pädagogik. Er erschwert die fachliche Arbeit von uns Pädagog*innen, die wir Lehrer*innen unterstützen, die ihre Schule bildungsbezogen, vielfaltsgerecht, inklusiv und demokratisch weiter entwickeln wollen.

Der letzte Spiegel-Titel Schulversagen hat als Leitartikel eine durchaus abgewogene Analyse dessen, warum der Patient Schule, der nun vor allen anderen Institutionen eröffnen soll, schwere Vorerkrankungen hat, die seine Chancen, als Vorreiter eine gute Figur zu machen, ziemlich gering erscheinen lassen. Die Vorerkrankungen Ersticken in Bürokratismus, schlechte Ausrüstung mit Medien, Föderales Chaos, Handlungsknebelung der einzelnen Schule durch Sach- und Personalbudgets… müssten logischerweise zu der Überschrift führen: Wie die Kultusbürokratie unsere Schule kaputt gemacht hat und wie diese nun trotzdem als erste beweisen soll, dass die Probleme mit der Pandemie zu bewältigen sind!

Dazu wird dem Leser auch schon gleich das passende, im Anschluss an den Vorgang zu kritisierende Personal angeboten. Unsere oberste Bildungsfrau sagt zu Hilfen für die Schulen: Das werden unsere Schulen selbst organisieren und die Schulen werden gewissenhaft vorgehen, da bin ich mir sicher. Aha. Da sind wir auch ganz sicher, aber werden sie die Möglichkeit dazu haben oder bekommen, das ist die Frage?

Und was steht über diesen Nachrichten über das Versagen der Kultusbürokratie: Schulversagen! Und der Lehrer Lämpel wedelt den Zeigefinger vor seinem Mundschutz. Wer hier nicht weiterliest, hat, was vielen als Informationsstand reicht: Lehrerschelte und die üblichen Stereotypien.

Dabei wäre der Text eine Chance, aufklärend zu wirken, die Situation als Chance zu beschreiben, wie Andreas Schleicher es ganz am Schluss tut. Aber da ist der Text dann schon so verlämpelt, dass so mancher wohl nicht zu Ende gelesen hat.

Dieser pädagogische Populismus ist so in Mode gekommen, dass er geeignet ist, die Chancen zu verstellen, die sich auftun. Durchaus kluge Menschen treten öffentlich auf und glauben, sie könnten unsere Lehrer*innen mal eben belehren, wie sie ihren Job richtig zu machen hätten. Weil ja jede*r mal zur Schule gegangen ist und weiß, wie Lehrer Lämpel tickt. Das sind Pädagogen und Psychologen, die dadurch eine Öffentlichkeit haben, dass sie so formulieren können, dass der Normalbürger ihnen zuhören mag. Wir möchten alle diese pädagogischen Dampfplauderer auffordern, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen und das Pauschalisieren zum Schaden der Betroffenen einzustellen.

Der allergrößte Teil unserer Lehrkräfte im Land weiß, dass Schule sich verändern und entwickeln muss. Unsere Lehrkräfte, mit denen wir in unserer Beratungsfunktion zusammenarbeiten, sind lernwillig, bemüht, arbeiten mit hoher Verantwortlichkeit und großem Engagement. Auch dem Einsatz digitaler Werkzeuge als Mittel zur Verstärkung des Lernens der Schüler*innen stehen sie aufgeschlossen gegenüber. Warum müssen sie sich – millionenfach gedruckt- jetzt wieder als Papiermenschen beschimpfen lassen, wo sie gerade mit viel Engagement und unter widrigsten Bedingungen digital den Kontakt zu unseren Kindern und Jugendlichen halten?

Im Subtext werden alle Lehrer*innen, die die aktuellen Weisheiten der Wortführenden (noch) nicht umsetzen, als Dummbeutel, als von gestern oder als Faulpelze beschimpft. Das ist entmutigend und deprimierend. Es verführt unsere Lehrkräfte zur Resignation in schwierigen Zeiten! Die Menschen, die in der Schule von heute arbeiten, brauchen Ermutigung, Unterstützung bei der Umsetzung von Innovationen. In der Sprache dessen, was Lehrkräfte mit ihren Schüler*innen machen: Sie brauchen Unterstützung und positive Verstärkung beim Lernen. Wie wäre es mal mit einem Applaus?

Wir haben Beispiele dafür, dass deutsche Schulen sich innerhalb von zwei Wochen darauf umgestellt haben, digitale Werkzeuge zum Lernen in den Wochen und Monaten des Distanzlernens nutzbar zu machen. Andere Schulen sind noch dabei, diese Lernprozesse im System zu implementieren. Die Kontaktlinien zu den versprengten Lernenden müssen aufgebaut werden – ja! In der Krise stehen nicht nur Krankenhäuser vor unerwarteten Herausforderungen. Hat da jemand etwas dagegen? Neue Herausforderungen verlangen eben neues Lernen.

Wenn Lehrkräfte noch nicht wissen, wie, so lässt sich das in wenigen Tagen ändern. Medienschelte ist dabei nicht hilfreich. Populismus ist Gift für die Motivation.

Die Krise in der Schule – da, wo sie erlebt wird – ist eine Krise des Lernens in der Schule. In der Distanzzeit zeigt sich, dass wir inklusives Denken wirklich brauchen. Jedem Kind einen Zugang zu spannenden und sinnvollen Lernangeboten machen – das ist die Herausforderung der Entwicklung von Schulen weltweit. Auch in der Normalität, auch im Klassenraum loggen sich Paula und Mehmed gedanklich aus, wenn das Lernen nicht auf Selbststeuerung ausgerichtet ist. Das wird nun wunderbar deutlich, wo die Schulpflicht ausgesetzt ist und das Lernen auf Distanz passiert. Lehrkräfte mit einem traditionellen Lernverständnis erleben jetzt ihre Grenzen. Deshalb sind sie jetzt offen, sich auf die neuen Herausforderungen einzulassen. Sie lernen nun. Das tun sie – schön, wenn Wissenschaft und Massenmedien sie dabei bestärken und nicht demotivieren!