Uwe Timm, Alle meine Geister (für Bilder bitte anklicken)

Uwe Timm

Alle meine Geister

Habe ich sehr gerne gelesen, mit hohem Interesse am Autor (Ich liebe ROT, Am Beispiel meines Bruders, Vogelweide, Montaignes Turm…) und daran, wie einer derjenige wird, der solche Bücher so schreibt. Da ist zum einen das Kürschnerhandwerk, das – als präzise Kunst beschrieben -, gut geeignet ist als gedankliche Grundlage für einen, der präzise den literarischen Pelz/Stoff zurechtschneidet, keine Haare einnäht, keine Nähte zeigt, sondern nur die gekonnte Komposition.

Toll beschrieben auch die Atmosphäre Nachkriegsdeutschlands: Einerseits die Goldgräberstimmung, in der der Vater mit lediglich einer alten Nähmaschine ein später gut florierendes Pelzgeschäft gründen kann, andererseits die Muffigkeit des unausgesprochen und nicht diskutabel abverlangten „anständigen Verhaltens“ (von dem der eine oder andere, in ständiger Angst vor Schwangerschaften seiner Partnerinnen, auch schon mal Abstand nimmt).

Der literarische Werdegang des jungen Autors wird anhand der ihn beeinflussenden Personen und Literatur so nachvollziehbar erzählt, dass die Germanistikstudentin in mir plötzlich fröhliche Urstände feierte und auch die gewählten Textauszüge goutierte. Die Lebensgeschichte Timms wird feinsinnig in Zeitgeschichte eingebettet geschildert, oft mit bedeutungsvollen Beschreibungen der handelnden oder aus der Vergangenheit Einfluss nehmenden Personen. Mit wem er befreundet ist (Benno Ohnesorg), für welche Frau er schwärmt, welchen Namens-Doppelgänger er hat, wie das Kürschnerhandwerk sich weiterentwickelt … das ist alles interessant, anschaulich, kenntnisreich und – kommt mir ganz oft ein bisschen distanziert vor. Das Persönliche wird verhalten geschildert, beschrieben, eingeordnet. Fertig.

Nicht, dass ich als Leserin voyeuristische Anfälle hätte, aber gelegentlich wäre mir eine ordentliche emotionale Einordnung lieb, gerade weil viele Schilderungen so sorgfältig realistisch sind. („Mensch Uwe, was hast du denn dabei empfunden?“, hatte ich beim Lesen mitunter im Kopf. Immerhin lässt er sich aus Freude, sich endlich der Literatur zuwenden zu können, beinahe (!) zu einem Jauchzen verleiten. Kommt mir so vor, als würde sich da einer nicht so richtig aus der Deckung wagen. Oder er ist halt wie er ist! Ich bin schon sehr gespannt auf Fortsetzungen.